Wunschtraum und Realität

Alltagsleben in den zwei deutschen Staaten

Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit. Auf einer Parkwiese in Westberlin picknicken im Mai 1980 zahlreiche Menschen. (akg-images / picture-alliance / dpa)

THEMEN  >> Themenmodul I  –  Modul 3

Mit der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik oder die DDR begann für viele Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeiter*innen ein gänzlich fremdes Alltags- und Arbeitsleben. Vielfach unterschied sich dieses von dem bisher bekannten und gewohnten Leben in ihren Herkunftsländern. Ob man nun als Vertragsarbeiter*in in die DDR oder als Gastarbeiter*in in die Bundesrepublik einreiste, konnte dabei einen sehr großen Unterschied machen. Doch was genau waren diese Unterschiede? Wie reagierten die Menschen auf die Verhältnisse in der DDR oder der Bundesrepublik? Und auf was für Arbeits- und Lebensbedingungen trafen sie in Deutschland?

„Völlig aus der Fassung geriet ich, als ich das Essen unter die Lupe nahm. Ich hatte so etwas noch nie vor mir gehabt, und den anderen ging es ebenso. […]  Wir sahen uns an. Blutwurst? Leberwurst? Sauerkraut? […] Vorsichtig kostete ich, aber es ekelte mich. […] Der Kulturschock saß zu tief. Angewidert schüttelte ich den Kopf. […] In unserem Volksstamm ist Schweinefleisch verpönt.“

Der mosambikanische Vertragsarbeiter Ibraimo Alberto als er das erste Mal in Ost-Berlin in  der Kantine zu Mittag isst.

(Quelle: Ibraimo Alberto: Ich wollte leben wie die Götter, Köln 2014, S. 108.)

„Ende 1959 kam ich mit meinem Sohn, der damals eineinhalb Jahre alt war, nach Deutschland. […] Wir fanden lange keine Wohnung. […] Die Deutschen wollten uns nicht. […] Schließlich zeigte man uns ein Haus, wo früher, während des Krieges, Soldaten gewohnt haben. Keine Tapeten, die Wände waren über und über beschmiert. Mein Mann, der Selige, machte sauber und brachte neue Tapeten an. 24 Jahre wohnten wir dort.“

Bedriye Furtina, geboren 1920 in der Türkei. 1959 kam sie als Gastarbeiterin nach Deutschland.

(Quelle: gekommen und geblieben. Deutsch-türkische Lebensgeschichten, hrsg. v. Michael Richter, Hamburg 2003, S.126. Der kostenlose Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Edition Körber, Hamburg)

Wohnen…

…in der DDR

In der DDR lebten die Vertragsarbeiter*innen hauptsächlich in den industriellen Zentren des Landes wie Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) oder Dresden. Dort wohnten sie in eigens für sie bereitgestellten Wohnheimen. Sie sollten nicht unbedingt in Kontakt mit DDR-Bürgern kommen. Deshalb waren auch Besuche in den Unterkünften kaum gestattet und wurden teils sogar bestraft. Pförtner oder Aufsichtspersonen kontrollierten, wer in das Gebäude hinein- und hinausging. Ein Umzug in eine eigene Wohnung war nicht erlaubt. Obwohl die Wohnungen und Unterkünfte oftmals in einem schlechten Zustand waren und sich mehrere Personen ein Zimmer teilen mussten, berichteten ehemalige Vertragsarbeitende ‒ je nachdem, aus welchem sozialen und wohnlichen Umfeld sie kamen ‒ oftmals positiv von ihren Unterkünften. Andere wiederum konnten es nicht fassen, dass sie mit mehreren Menschen auf kleinstem Raum zusammenleben sollten.

 

Ein Zimmer in den Wohnheimen der Vertragsarbeiter*innen musste immer mit mehreren fremden Personen geteilt werden. Ein Fernseher war ein seltenes Luxusgut und wurde meistens von allen Bewohnern der Etage genutzt und geteilt. Vietnamesische Vertragsarbeiter in den Räumen eines Wohnheims in Ostberlin. (imago images / Werner Schulze)

Ein Wohnheim in der DDR

In dem Vertragsarbeiterwohnheim, in dem Ibraimo Alberto untergebracht war, lebten auf den verschiedenen Stockwerken Menschen unterschiedlichster Herkunft. Ibraimo Alberto kam 1981 als mosambikanischer Vertragsarbeiter in die DDR. In jeder Wohnung wurden mehrere Personen untergebracht.

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„José nennt es Dusche“

„Einen Aufzug kannten wir so wenig wie eine Rolltreppe, und warum wir nicht in jedem Stockwerk aussteigen durften, kapierten wir erst später. Aber wir folgen brav allen Anweisungen, fuhren nach oben, betrachteten scheu die Wohnung, in der zwanzig von uns unterkommen sollten. Es gab fünf Zimmer, in jedem standen vier Betten. Eins davon wurde großspurig Wohnzimmer genannt, weil darin ein Fernseher stand. Die meisten von uns hatten noch nie so ein Gerät gesehen. Außerdem kam in einem Zimmer Wasser aus der Wand, wie ich es von den reichen Portugiesen in Chimoio [Mosambik] kannte. Dort war auch ein seltsames Gestell installiert, vor dem wir ratlos standen. ‚José nennt es Dusche‘ meinte Fernando, aber das half uns nicht weiter. Wir würden abwarten müssen, bis sich einer von uns daruntertraute, und es ihm dann nachmachen.“

(Quelle: Ibraimo, Alberto: Ich wollte leben wie die Götter. Was in Deutschland aus meinem afrikanischen Träumen wurde, Köln 2014, S.105.)

…und der Bundesrepublik

Aber auch die Gastarbeiter*innen in der Bundesrepublik bekamen anfangs ihre Unterkünfte von den Unternehmen bereitgestellt. Die firmeneigenen Gemeinschafts- und Gruppenunterkünfte befanden sich meist auf dem Betriebsgelände oder zumindest in der Nähe der Arbeitsstätte. Hatte man jedoch genügend Geld verdient, konnte man sich auch eine eigene Wohnung leisten. Dies war aber aufgrund des geringen Verdienstes und der verbreiteten Wohnungsnot oftmals mit Schwierigkeiten verbunden.

Viele Gastarbeiter*innen zogen in Stadtviertel oder Wohngebiete, in denen es günstige Mieten gab und die wohlhabendere deutsche Bevölkerung nicht unbedingt wohnen wollte. Die Gewohnheit der eigenen Kultur und Sprache sowie die oftmalige Ablehnung seitens der deutschen Bevölkerung führten auch dazu, dass viele aktiv den Kontakt zu anderen Landsleuten suchten. Dadurch kam es oftmals zur Herausbildung von länderspezifischen Vierteln, in denen ein großer Anteil der Bewohner*innen aus Italien, der Türkei oder Griechenland kam.

 

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Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche

Eine eigene Wohnung zu finden war nicht immer einfach. Diese Erfahrung musste auch Cahit Basar als Student in Münster machen. Im Interview erzählt er über die Schwierigkeiten, die er als Nachkomme von Eingewanderten bei der Wohnungssuche hatte.

Neues Leben in den unbeliebten Stadtvierteln

Durch das Zusammenfinden von Menschen derselben Kultur und Sprache in bestimmten Wohnvierteln veränderten sich ganze Straßenzüge und Stadtviertel:

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Der Migrationsforscher Hans-Jürgen Kleff beschreibt die Veränderungen, die mit dem Zuzug vieler türkischstämmiger Einwanderer*innen in den Berliner Stadtteil Kreuzberg vonstattengingen. In den Jahren zuvor galt der Stadtteil direkt an der Berliner Mauer als eher unattraktive Wohngegend.

„Für jemanden, der noch die verödeten und kaputten Straßenzüge dieser Gebiete zu Beginn der siebziger Jahre kennt, ist es faszinierend zu verfolgen, wie im Laufe der späten siebziger und der achtziger Jahre gerade durch die vielen türkischen Lebensmittelläden, Kaffeehäuser, Reisebüros, Fahrschulen usw. die düsteren Straßenzüge wiederbelebt wurden und wie dadurch diese Gebiete auch für deutsche Bevölkerungsgruppen eine neue Attraktivität bekamen!“

Hans-Günter Kleff: Die Bevölkerung türkischer Herkunft in Berlin-Kreuzberg – eine Bestandsaufnahme. in: Ghettos oder ethnische Kolonie?, Entwicklungschancen von Stadtteilen mit hohem Zuwandereranteil / Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Arbeit und Sozialpolitik. – [Electronic ed.]. – Bonn, 1998, S.83. Quelle.

 

Schockierendes Deutschland

Hediye Akin, geb. 1948 in der Türkei, war wegen ihres Mannes, der Gastarbeiter war, 1969 in die Bundesrepublik gekommen. Die ersten Eindrücke ihrer Wohnung schockierten sie.

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„Ich dachte, mich könnte nichts mehr schockieren. Aber ich hatte ja auch eine völlig andere Vorstellung im Kopf: Deutschland, das war für mich eine ganz neue, reiche Welt! Schließlich kamen immer alle mit Radios, Hüten, Kleidern und viel Geld aus Deutschland – nein, da konnte man gar nicht arm sein. Ich hätte nie geglaubt, dass es so aussehen könnte wie in unserer Wohnung: ein Bett, ein Esstisch und eine Waschmaschine in der Küche – alles gebrauchte Möbel. Die Wohnung hatte weder Bad noch Toilette, es gab nur eine Gemeinschaftstoilette auf dem Hausflur. So etwas kannte ich von zu Hause nicht, in der Türkei hat jeder ein Haus mit Bad und Toilette.“

Quelle: Richter, Michael: gekommen und geblieben. deutsch-türkische Lebensgeschichten, Hamburg 2003, S.41. Der kostenlose Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Edition Körber, Hamburg

 

Eine Dreizimmerwohnung für Gastarbeiter*innen in Duisburg 1974. In der Wohnung waren neun Betten untergebracht. Vermietet wurde pro Bett und Nacht. (imago images / Klaus Rose)

Arbeiten…

 

Mosambikanische Vertragsarbeiter*innen werden im VEB Oberlausitzer Textilbetrieb Neugersdorf/DDR angelernt, 1979. (imago images / Ulrich Hässler)

…in der DDR

In der DDR war der Arbeitseinsatz in den Regierungsabkommen geregelt. Darin wurde der Erhalt einer Facharbeiterausbildung festgehalten. Bei ihrer Ankunft in der DDR wurde den Vertragsarbeitenden mitgeteilt, als was und wo sie arbeiten müssen. Ein mehrwöchiger Sprachkurs diente als Vorbereitung und Eingewöhnung. Die Ausbildung erfolgte im Betrieb. Es konnte aber auch vorkommen, dass man überhaupt keine sachgerechte Ausbildung erhielt oder eine völlig andere als ursprünglich gedacht. Immer wieder kam es daher zu Widerstand, manchmal sogar zum Streik oder zur Arbeitsniederlegung.

Ein Problem war auch die Auszahlung des Lohns. Ein Teil davon wurde nicht an die Vertragsarbeiter*innen, sondern an die jeweiligen Regierungen überwiesen. Die Höhe der Löhne hing von der Arbeitsleistung ab und ein Teil des Lohnes wurde einbehalten, zum Beispiel für Miete oder Verpflegungskosten. Wer dagegen aufbegehrte, gegen die Vorschriften verstieß oder die Arbeitsnormen nicht erfüllte, dem drohte Bestrafung oder sogar die Kündigung seines Vertrages und damit die Heimreise.

„Wir waren so jung, als wir in die DDR kamen. In unserer Freizeit haben wir versucht, etwas zu erleben, sind in Discos gegangen. Aber wenn wir unser Wohnheim verließen, mussten wir unseren Personalausweis und die Betriebskarte abgeben. Wenn wir über Nacht wegbleiben wollten, mussten wir das begründen. Es war eigentlich nur möglich, Verwandte, die in anderen Betrieben untergekommen waren, zu besuchen. So sind wir Mosambikaner unter uns geblieben.“

Olga Macuacua, kam 1986 als mosambikanische Vertragsarbeiterin in die DDR. (Matthias Meisner/Malte Wandel: Wie Olga Macuacua aus Mosambik Rasissmus erlebte – und erlebt. Der Tagesspiegel 29.01.2020, Quelle.)

Geheimdienstbericht: Proteste gegen die Arbeitsbedingungen

Die ausländischen Arbeitskräfte und Studierenden wurden wie die übrige DDR-Bevölkerung von der Staatssicherheit (Stasi), dem allgegenwärtigen Geheimdienst der DDR, beobachtet und kontrolliert. Bei politischem Protest, Kritik oder kleineren Verstößen konnte es vorkommen, dass man wieder in sein Herkunftsland zurückgeschickt wurde.

Eine Arbeitsniederlegung vietnamesischer Vertragsarbeiter 1989 wurde daher in einem Geheimdienstbericht der Stasi dokumentiert.

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Information über Vorkommnisse mit vietnamesischen Werktätigen, 1989

 

Hauptabteilung XIX

Abteilung 1                                                                                          Berlin, 27.03.1989

Information

Vorkommnisse mit bei der Deutschen Reichsbahn eingesetzten vietnamesischen Werktätigen

Am 22.03.1989 kam es im Verantwortungsbereich der Reichsbahndirektion Berlin zu arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen mit vietnamesischen Werktätigen.

 

Die in der Bahnmeisterei Berlin Hauptbahnhof eingesetzten 20 Werktätigen forderten bei Arbeitsbeginn eine umgehende Klärung ihrer Lohnfragen, wodurch es zu einer einstündigen Arbeitsniederlegung kam.

Die im Bauzug 11 eingesetzten 30 vietnamesischen Werktätigen verweigerten die Entgegennahme ihres Lohnes.

In den durch leitende Kader der Reichsbahndirektion Berlin geführten Aussprachen wurden als Begründungen angegeben:

 

–       die vietnamesischen Bürger haben den Eindruck, dass DDR-Bürger bei gleicher Arbeitsleistung eine höhere Entlohnung erhalten

–       vietnamesische Werktätige in der Bekleidungsindustrie bei besseren Arbeitsbedingungen einen höheren Lohn erhalten

–       die Entlohnung der vietnamesischen Werktätigen erfolgt ohne Unterschied generell in einer Lohngruppe.

 

Im Ergebnis der geführten Aussprachen wurden Festlegungen getroffen, zukünftig eine differenzierte Einschätzung der Qualifikation und Leistung eines jeden Werktätigen zu gewährleisten und damit die differenzierte Entlohnung durchzusetzen.

Da deutlich wurde, dass die vietnamesischen Werktätigen über Grundfragen des Lohnsystems wie z.B. Mehrschichtarbeit, Leistungslohn und dgl. Verfahrensfragen nicht ausreichend informiert waren, wurde zur Vermeidung derartiger Vorkommnisse ein monatlicher Sprechtag für vietnamesische Werktätige beim Leiter der Verwaltung eingerichtet.

Weiterhin wird überprüft, die vietnamesischen Werktätigen durch Aufgliederungen in einzelne Brigaden stärker in das kollektive und gesellschaftliche Leben der Dienststellen einzubinden.

Gemeinsam mit den Leitern aller Einsatzdienststellen und den vietnamesischen Gruppenleitern wird am 28.03.1989 über diese und weitere Maßnahmen beraten.

Von den Vorkommnissen und eingeleiteten Maßnahmen sind der Stellvertreter des Ministers für Verkehrswesen, die Bezirksleitung der Partei, die Kreisleitung Mitte sowie der Magistrat, Amt für Arbeit und Löhne informiert.

Die Abteilung XIX Berlin hat Kenntnis vom Sachverhalt und hält die weitere Entwicklung unter operativer Kontrolle.

 

gez. Lenknereit

Major

 

Erläuterungen:

Hauptabteilung XIX                   Hauptabteilung des MfS für die Überwachung von Verkehr, Post, Nachrichten.

Kader:                                       (ausgewähltes) Personal

BStU, MfS, HA II, 27428, Bl. 70,71 in: BStU/Bildungsteam, Posterausstellung „Stasi. Was war das?“, Fremde in der DDR, Vertiefungsteil.

 

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Berufsausbildung in Wurzen

Nach einem sechsmonatigen Deutschkurs in Weimar/Thüringen wird Hong Trung Dinh für die Berufsausbildung nach Sachsen geschickt. In Wurzen, nicht weit von Leipzig, erhalten er und weitere Vertragsarbeiter*innen eine Ausbildung bei der VEB Splittwerk Röcknitz-Hohnstädt. Über das Alltagsleben in der sächsischen Provinz und die Ausbildungszeit im Kiesbetrieb kann Dinh im Rückblick nur Positives erzählen.

…und der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik wurden die Gastarbeiter*innen bei ihrer Ankunft auf verschiedene Unternehmen aufgeteilt. Mit Lehrfilmen und Sprachkursen sollten die deutsche Sprache und einige Lebensgewohnheiten vermittelt werden. Für die Unternehmen sowie für viele Gastarbeiter*innen stand anfangs jedoch hauptsächlich die Erwerbsarbeit im Mittelpunkt. Ziel der meisten Gastarbeitenden war es, innerhalb ihrer Aufenthaltszeit einen großen Teil des Einkommens nach Hause zu schicken oder zu sparen, um im Heimatland später eine bessere Existenz aufbauen zu können. Viele arbeiteten daher überdurchschnittlich viel und kauften sich nur das Nötigste. Dabei übernahmen sie oftmals Tätigkeiten, für die ansonsten keine Arbeitskräfte in der deutschen Bevölkerung gefunden wurden. Dies betraf vor allem Akkord-, Schicht- und Fließbandarbeiten oder Arbeiten mit geringem sozialen Ansehen, die körperlich sehr anstrengend und gering entlohnt waren.

Schlechtere Arbeit, weniger Bezahlung

In einer 1967 erschienenen wissenschaftlichen Studie wurde die soziale, berufliche und wirtschaftliche Situation von männlichen Gastarbeitern in Köln untersucht. Es wurden sowohl Gastarbeiter als auch Deutsche befragt. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL fasste die Ergebnisse zur Grundeinstellung von Westdeutschen zu Gastarbeiter*innen zusammen:

„Benutzen, ohne sich stören zu lassen“ – darauf reduziert sich nach den Erkenntnissen der Kölner Wissenschaftler die Grundeinstellung der Westdeutschen, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, gegenüber den Gastarbeitern. „Benutzen“, das heißt: Gastarbeiter verrichten, oft für weniger Geld, die Arbeit, die bundesdeutsche Bürger nicht mehr verrichten wollen.“

(Quelle: „Komm, Komm, Komm – Geh, Geh, Geh“ in: DER SPIEGEL 43/1970.)

„Wir halfen Deutschland beim Aufbau“

Für die meisten Unternehmen waren die Gastarbeiter*innen eine willkommene und billige Arbeitskraft. Sie zahlten ihnen viel weniger Lohn als der deutschen Arbeiterschaft, obwohl sie die gleichen Aufgaben erledigten. Dennoch sehen bis heute viele Gastarbeiter*innen ihre Arbeit als wichtigen Faktor für die Entwicklung des deutschen Wohlstands.

„Deutschland und die Menschen haben sehr viel Geld verdient. Als wir hierhergekommen sind, war Deutschland nicht so entwickelt. Zum Beispiel haben sie mich für fünf Mark statt für zehn Mark arbeiten lassen. Der Deutsche war im Vorteil, er war über mir als Vormeister tätig. Er hat fünfzehn Mark bekommen. Diese Zeiten waren auch für Deutsche sehr gut […].“

(Quelle: Nevim Çil: Topographie des Außenseiters. Türkische Generationen und der deutsch-deutsche Wiedervereinigungsprozess, Berlin 2007, S.152.)

Das Stahlwerk des Stahlkonzerns Thyssen AG (Heute Thyssenkrupp AG ) in Duisburg 1988. Vor allem in der Schwerindustrie wurden Arbeitskräfte dringend benötigt. Obwohl die dortige Arbeit gut entlohnt wurde, wollten viele Menschen die körperlich anstrengende und schwere Arbeit nicht mehr übernehmen. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F079042-0013 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons)

Leben…

 

… in der DDR

Für viele Vertragsarbeiter*innen gestaltete sich das Alltagsleben jenseits der Arbeitsstelle schwierig. Die kurzen Deutschkurse vermittelten nur Grundkenntnisse der deutschen Sprache, oftmals nur mit direktem Bezug zur Arbeit. Das Erlernte auch außerhalb des Betriebes anzuwenden war durch die Kontaktbeschränkungen nicht immer möglich. Sprachkenntnisse blieben oft arbeitsspezifisch und machten einen allgemeinen Sprachgebrauch schwierig. Dennoch besuchten einige Vertragsarbeiter*innen Sportvereine, gingen abends in Kneipen und Discotheken oder schlossen Freundschaft mit deutschen Arbeitskollege*innen. Einige DDR-Bürger*innen luden Vertragsarbeiter*innen auch zu sich nach Hause ein auf Kochabende oder in den eigenen Garten zu gemeinsamen Gartenpartys.

Einige Vertragsarbeiter*innen verliebten sich in der DDR und heirateten. Beziehungen zwischen Vertragsarbeiter*innen und DDR-Bürger*innen waren von den Staatsorganen jedoch nicht immer gerne gesehen. Auch bei normalen DDR-Bürger*innen war solch eine Beziehung etwas Neues und Fremdes – einige reagierten sogar ablehnend. (imago images / Werner Schulze)

Heimreise statt Glückwünsche

Einige Arbeiter*innen verliebten sich und fanden eine/-n Freund*in oder eine/-n Eheparter*in. Problematisch wurde es jedoch bei einer Schwangerschaft. In den Regierungsabkommen war explizit festgehalten, dass Vertragsarbeiter*innen dann die DDR verlassen mussten. 

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„Schwangerschaft und Mutterschaft verändern die persönliche Situation der betreffenden Frauen so grundlegend, dass die damit verbundenen Anforderungen der zeitweiligen Beschäftigung und Qualifizierung nicht realisierbar sind. […] Vietnamesische Frauen, die die Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung bzw. -unterbrechung nicht wahrnehmen, treten nach ärztlich bescheinigter Reisetauglichkeit zum festgesetzten Termin die vorzeitige Heimreise an.“

Vereinbarung über die Verfahrensweise bei Schwangerschaft vietnamesischer werktätiger Frauen in der DDR, 21.07.1987.

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Im Internat in Weimar

Die ersten Tage in Weimar schildert Hong Trung Dinh sehr positiv: touristische Führungen, Sport und Freizeitaktivitäten begleiten den Sprachkurs.

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Studienjahre und Mauerfall

Dank eines Studienstipendiums bekam Karamba Diaby die Möglichkeit, in Halle Chemie zu studieren. Die Studienjahre empfand er aufgrund der friedlichen Revolution auch als eine Zeit der Verunsicherung.

Einige ausländische Arbeitskräfte eröffneten mit der Zeit eigene Geschäfte, oftmals, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Gemüseläden, Restaurants oder Feinkostgeschäfte boten Waren und Gerichte aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, Italien, Spanien oder Griechenland an. Heute gehören Pizza, Cappuccino, Döner Kebab oder Gyros zur deutschen Esskultur wie Bratwurst und Sauerkraut. (imago images / JOKER)

…in der Bundesrepublik

In den 1950er- und 1960er-Jahren kamen überwiegend männliche Gastarbeiter in die Bundesrepublik. Viele arbeiteten und kehrten dann wieder in ihre Herkunftsländer zurück. Vor allem nach dem Anwerbestopp 1973 und der verbreiteten Arbeitslosigkeit entschieden sich viele ausländische Arbeitskräfte für eine Ausreise. Einige holten hingegen ihre Familien nach und entschieden sich für ein Leben in der Bundesrepublik.

Herausforderungen gab es für die ausländischen Arbeitskräfte und deren Familienangehörige zahlreiche. Viele konnten nur sehr wenig Deutsch sprechen, die deutsche Kultur und die Lebensgewohnheiten waren ihnen fremd und der deutsche Staat unterham wenig,um ihnen zu helfen. Nach und nach zeigte sich jedoch, dass die ausländischen Arbeitskräfte aus ihrem eigenen Lebensumfeld und ihrem Land einige Sitten und Gebräuche mitbrachten, die auch die deutsche Bevölkerung anfing zu übernehmen.

Die Deutschen und das Gemüse

Die angeworbenen Gastarbeiter*innen brachten nicht nur ihre Arbeitskraft mit in die Bundesrepublik. Mit ihnen kamen auch ihre Kultur, ihre Religion oder ihre Essgewohnheiten. Bedriye Furtina, geb. 1920 in der Türkei, kam 1959 nach Deutschland. Sie berichtet über ihre Erlebnisse und die anfänglichen Schwierigkeiten.

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„Das Leben war damals, als wir in Deutschland ankamen, sehr schwer, schon weil das Essen so anders war. Einmal brauchte eine Griechin, eine Bekannte von uns, die auch erst kurz in Deutschland war, Eier. […] Wir fragten uns durch und irgendwie schafften wir es, auf den Markt zu finden. Dort begannen wir Eier zu suchen. Aber wir sahen nur Kartons und wussten nicht, dass da Eier drin waren. Die Griechin sagte ‚Augu, Augu‘, also das griechische Wort für Eier, ich versuchte es mit ‚Yumurta‘, dem türkischen Wort für Eier. Wir durchkämmten den ganzen Markt und fanden keine Eier. Schließlich beschlossen wir, zurückzugehen. Und auf einmal sehe ich Eier offen dastehen! Ich zeigte auf die Eier, die Marktfrau packte sie in einen Karton. Mein Gott, denke ich, die Eier sind in den Kartons, die wir die ganze Zeit nicht gesehen haben. Gemüse gab es am Anfang nicht. Erst später kam Spinat hierher, so wie ich ihn kannte. Und noch später kamen Auberginen, Paprika, alle Arten von Gemüse nach Deutschland. Auf dem Markt verteilten die Händler damals Rezepte: Auberginen werden so gekocht, Zucchini so zubereitet – damit die Deutschen wussten, wie man alles zubereitet. Aber wenn man Knoblauch gegessen hatte, mochte einem Gott beistehen, dann spuckten die Deutschen einem fast ins Gesicht. Und heute essen sie mehr Knoblauch als wir.“

Quelle: gekommen und geblieben. Deutsch-türkische Lebensgeschichten, hrsg. v. Michael Richter, Hamburg 2003, S.126. Der kostenlose Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Edition Körber, Hamburg

Ende der Siebzigerjahre wuchsen bereits die Kinder der ersten Gastarbeiterfamilien in der Bundesrepublik auf. Sie waren in Deutschland geboren, hatten aber trotzdem keinen deutschen Pass. Eine Gastarbeiterfamilie aus Italien mit ihrem in der Bundesrepublik geborenen Kind. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F040747-0029 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons)

Eine neue Generation wächst heran

Mit der Niederlassung in der Bundesrepublik und der Gründung von Familien wuchs die zweite und später die dritte Generation von Gastarbeiterkindern heran. Geboren und aufgewachsen in der Bundesrepublik, begannen sie, ganz andere Wünsche und Vorstellungen zu formulieren als ihre Eltern oder Großeltern. Viele kennen das Herkunftsland der Eltern oder Großeltern nur aus deren Erzählungen. Sie gehen in Deutschland zur Schule, sprechen besser Deutsch als die erste Generation und sehen ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik.

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Alltagsrassismus, Jugend und Studium

Immer wieder wurde Cahit Basar als Kind und als Jugendlicher mit rassistischen Vorurteilen oder Handlungen konfrontiert. Um diesen zu begegnen, sahen er und seine Eltern vor allem eine gute Bildung als wichtig an.

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Leben in der Bundesrepublik

Die ersten Jahre in der Bundesrepublik erlebte Marianne Neumann relativ normal. Erst bei einem Gruppenausflug nach Ostberlin wird sie stark an die Sowjetunion erinnert und empfindet große Unterschiede zwischen Ost und West.

Perspektivwechsel

Der Mauerfall und das Jahr 1989

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