Perspektivwechsel

Der Mauerfall und das Jahr 1989

Vietnamesische Vertragsarbeiter*innen auf der Berliner Mauer in Ostberlin. (imago images / Werner Schulze)

THEMEN  >> Themenmodul I  –  Modul 4

Das Jahr 1989 brachte weltbewegende Änderungen mit sich. DDR-Bürger*innen demonstrierten, die DDR-Regierung trat zurück und die Grenzübergänge in die Bundesrepublik wurden geöffnet. Während Ost- wie Westdeutsche den Mauerfall freudig begrüßten, waren Ausländer*innen sowie Einwander*innen und deren Nachkommen skeptischer. Auch für sie änderte sich die Situation schlagartig – jedoch nicht immer zum Besten. Was änderte sich für die Vertragsarbeiter*innen im Zuge des Mauerfalls? Und wie reagierten die Gastarbeiter*innen auf die Grenzöffnungen? Wie wirkten sich die Veränderungen auf das Alltagsleben der Menschen aus?

„Natürlich haben sich die Deutschen gefreut, wir haben uns auch gefreut. Aber manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, also dann wäre die Arbeitslosigkeit nicht so gestiegen.“

Iskender B. geb. 1931/Türkei. Kam 1969 in die Bundesrepublik

(Quelle: Nevim Cil: Topographie des Außenseiters. Türkische Generationen und der deutsch-deutsche Wiedervereinigungsprozess, Berlin: Verlag Hans Schiler 2007, S.174.)

„Ja und die schwierige Phase ist wirklich die Zeit der Demonstrationen, wo es dann hieß ‚Wir sind das Volk, Wir sind das Volk‘ […] Aber du kennst die Leute nicht auf der Straße, die gerade sagen ‚Wir sind das Volk´ und du hast halt dieses Stipendium, aber mit der Gesellschaft hast du keinen Kontakt ‒ wenn sie das Volk sind, was ist dann mit dir? Was ist mit euch?“

Dr. Karamba Diaby, geb. 1961/Senegal. Kam 1985 als ausländischer Student in die DDR.

Montagsdemo in Leipzig am 11.12.1989. Die 10. Montagsdemonstration zur demokratischen Erneuerung der DDR vereint über 100.000 Menschen vor dem Leipziger Opernhaus. Einige Transparente forderten auch zur Vereinigung der zwei Deutschlands auf. (Bundesarchiv, Bild 183-1989-1211-027 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons)

Eine „friedliche Revolution“ für alle?

1989 beteiligten sich immer mehr DDR-Bürger*innen an den Demonstrationen gegen das DDR-Regime. Friedlich forderten sie politische und wirtschaftliche Veränderungen und ein Ende des DDR-Regimes. Die Demonstrationen und der darauf folgende Rückzug der staatlichen Machtstrukturen schufen jedoch auch einen Handlungs- und Kommunikationsraum, in dem auch immer mehr rechtsradikale und rassistische Handlungen und Äußerungen Anklang fanden.

Kurz vor dem Fall der Mauer lebten circa 190.000 ausländische Arbeitskräfte und Studierende in der DDR. Noch am 12. Oktober 1989 wurde von der DDR-Regierung die Anwerbung und Einreise von 6.000 zusätzlichen Arbeiter*innen aus Mosambik beschlossen.

Die meisten ausländischen Arbeitskräfte und Studierenden hielten sich aber von den zahlreichen Demonstrationen zumeist fern. Viele hatten Angst am Arbeitsplatz oder im Studium benachteiligt zu werden. Immer wieder war es auch vorgekommen, dass nicht nur der Ruf nach einer Demokratisierung zu hören war, sondern auch rassistische Parolen geäußert wurden.

Rassismus in beiden deutschen Staaten?

In den 1980er-Jahren waren Rassismus und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik und der DDR keineswegs neue Probleme. Mit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes 1945 waren nationalsozialistisches und rechtsextremes Gedankengut und Hetze nicht einfach so verschwunden. Jedoch gingen die zwei deutschen Staaten sehr unterschiedlich mit rassistischen und rechtsextremistischen Einstellungen in der Bevölkerung um.

… in der Bundesrepublik

In den 1980er Jahren gab es in der Bundesrepublik erneut mehrere Parteien und Vereine, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurden, wie zum Beispiel die Partei „Die Republikaner“.

Rassistische Äußerungen und Einstellungen fanden sich aber überall in der Gesellschaft und äußerten sich in unterschiedlichsten Formen. So spricht die Historikerin Maria Alexopoulou von „Rassismus“ als Kontinuitätslinie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“.

Zudem kam es zu Beginn der 1980er-Jahre zu mehreren „Anschlägen und Morden“ mit rechtsextremem Hintergrund. So kam es unter anderem am 22. August 1980 zu einem Brandanschlag auf ein Hamburger Übergangsheim für Flüchtlinge und am 16. und 17. Dezember 1980 zu einem Brandanschlag auf ein Haus, das vorrangig von türkischen Einwanderern bewohnt war. Dabei kamen vier Menschen ums Leben. Politik, Medien und Gesellschaft verurteilten die Anschläge und überall im Land kam es zu Demonstrationen gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

Rechtsextreme Anschläge und Morde in den 1980er-Jahren in der Bundesrepublik

Zu Beginn der 1980er-Jahre verübte die rechtsextreme Terrororganisation „Deutsche Aktionsgruppen“ in mehreren deutschen Städten Bomben- und Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte und andere Einrichtungen. Bei einem Brandanschlag in Hamburg töteten sie 1980 zwei Vietnamesen.

Im gleichen Jahr verübte ein rechtsextremer Täter am 26. September 1980 das Oktoberfestattentat, einen Bombenanschlag auf das Oktoberfest. Dadurch wurden 13 Personen getötet und 221 verletzt, 68 davon schwer. Der Anschlag gilt als schwerster Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl bereits damals klar war, dass der Täter rechtsextreme Motive hatte, wurde dies erst 2020 in einer erneuten Untersuchung offiziell anerkannt.

Rassismus als Kontinuitätslinie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Artikel der BpB

Dieser Text von Maria Alexopoulou ist auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung unter der Creative Commons Lizenz by-nc-nd/3.0/de/ veröffentlicht worden.

 

Rassismus als Kontinuitätslinie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Rassismus hat viele Gesichter und ist in seinem jeweiligen zeitlichen und räumlichen Kontext zu betrachten. In demokratischen und pluralistischen Gesellschaften, in denen das Konzept „Rasse“ mehrheitlich abgelehnt oder tabuisiert wird, zeigt sich Rassismus als Gewalt radikaler Gruppen oder in der Rhetorik von Populist*innen. Ebenso relevant ist jedoch der Rassismus der Mitte. Damit ist die gesellschaftliche Wirkung rassistischen Wissens gemeint, das in Denktraditionen, Institutionen, Strukturen sowie Diskursen und Alltagspraktiken der jeweiligen Gesellschaft eingebettet ist. Es wird ganz selbstverständlich, oftmals unbewusst, angewendet und „gewusst“. Dadurch strukturiert rassistisches Wissen weiterhin moderne Gesellschaften.[1] Ein wichtiges epistemologisches Moment dabei ist die Ignoranz: Sie ermöglicht den Privilegierten in diesem System, sich nicht bewusst machen zu müssen, worauf ihre Privilegien beruhen.[2]

In der Geschichte der Bundesrepublik ist das Konzept „Ausländer“ ein guter Startpunkt, um die Wirkung rassistischen Wissens zu untersuchen. „Ausländer“ impliziert dabei nicht (nur) einen formaljuristischen Status, sondern ist der „Andere“ des Deutschen. Das zeigt sich etwa daran, dass deutsche Staatsbürger*innen mit „Migrationshintergrund“ heute noch „Grenzgänger“ sind, denen ihr „Deutsch-Sein“ jederzeit abgesprochen werden kann.[3] Die Binarität „Ausländer“ und „Deutscher“ ist in zahllosen Varianten in der gesellschaftlichen Realität auszumachen. Sie ist Grundlage einer nach „Wertigkeit“ der Herkunft strukturierten und damit rassialisierten[4] Hierarchie, die Ungleichheit schafft und diese selbstreferenziell legitimiert.

Im Folgenden werde ich an zwei Ausschnitten der neueren deutschen Migrationsgeschichte die Wirkungen rassistischen Wissens aufzeigen: in der Einbürgerungspraxis und am politischen Umgang mit „Ausländerfeindlichkeit“. Bezugspunkt bleibt dabei das Konzept „Ausländer“ und dessen Bedeutungsdimensionen. Dabei werde ich zum einen zeigen, dass das Konzept „Ausländer“ rassialisiert ist, und zum anderen damit untermauern, dass race und das damit einhergehende Phänomen des Rassismus als analytische Kategorien in der zeithistorischen Forschung stärker zu verankern sind, um den Umgang mit auf Herkunft basierender Differenz in Deutschland seit 1945 adäquat untersuchen zu können.[5]

Die Binarität „Ausländer“ und „Deutscher“
In den 1970er Jahren entstand eine neue Bevölkerungsgruppe in Deutschland: die „Ausländer“. Diese Bezeichnung setzte sich durch, als keine*r mehr die Augen davor verschließen konnte, dass sich ein Teil der „Gastarbeiter“ sesshaft gemacht hatte. Unter „Ausländer“ wurden zunehmend auch Asylbewerber*innen verstanden, die seit Mitte der 1970er Jahre in größerer Zahl aus außereuropäischen Ländern kamen – wobei diese auch mit dem sich zu einem abwertenden Begriff wandelnden „Asylant“ diskursiv separiert wurden.[6]

Wie sehr man in den „Ausländern“ eine neue soziale Kategorie, eine eigene Bevölkerungsgruppe sah, wird etwa an der 1977 vom Landesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung „Aspekte der langfristigen Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg“ sichtbar. Aus ihrer Anzahl, „heutigen Fruchtbarkeit und Lebenserwartung“ wurde ihr Bevölkerungsanteil im Jahr 2050 errechnet. Dieser werde sich von 9 auf 22 Prozent der Landesbevölkerung mehr als verdoppeln. Kontrastiert wurde diese Entwicklung mit der sinkenden deutschen Bevölkerungszahl, die sich um die Hälfte reduzieren würde.[7] Erstaunlich dabei ist, dass noch für das Jahr 2050 von „Ausländern“ – wohl gemerkt nicht neu zugewanderten, sondern hinzugeborenen – gesprochen wurde.

Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Weichen, die Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre gelegt wurden, wundert das nicht. Denn das sich durchsetzende Konzept der „Integration auf Zeit“[8] sah zwar einen längeren Aufenthalt von „ausländischen Mitbürgern“ vor. Diese galten jedoch nicht als Einwander*innen, denen alle Bürgerrechte zustehen sollten. Nach dem geltenden Ausländer- und Staatsbürgerschaftsrecht war der Status „Ausländer“ erblich. Analog wurde in der 1977 neu erlassenen und erstmalig öffentlich gemachten Einbürgerungsrichtlinie bestimmt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland; sie strebt nicht an, die Anzahl der deutschen Staatsangehörigen gezielt durch Einbürgerung zu vermehren.“[9] Die Empfehlung, die der SPD-geführte Ausschuss Integration der Bund-Länderkommission „Ausländerpolitik“ 1983 gab, die von der neuen Regierung Kohl eingesetzt worden war, befand entsprechend, dass die Einführung eines Einbürgerungsanspruches für die sogenannte zweite Ausländergeneration zwar „die größte Signalwirkung, Transparenz und Verläßlichkeit“ haben würde; dies stellte jedoch „das bisherige Selbstverständnis die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland (…) in Frage“.[10]

Doch worauf gründete die Überzeugung, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland? Deutschland hatte in der direkten Nachkriegszeit enorme Migrationsbewegungen und massenhafte Einwanderung erlebt. Diese wurde allerdings sehr lange, auch retrospektiv, nicht als solche verstanden. Das Postulat vom „Nicht-Einwanderungsland“ (Klaus Bade) bezog sich auf „nicht-volksdeutsche“ Einwander*innen. Bereits seit dem Kaiserreich sollten Arbeitsmigrant*innen aus dem Osten und Süden Europas, die als „völkisch-kulturell Minderwertige“ die bei den Deutschen unbeliebt gewordene Arbeiten übernahmen, neben anderen Gruppen möglichst nicht Teil des „deutschen Volkes“ werden.[11] Sie wurden zunehmend zu „Anderen“ der Deutschen. Nach der „rassischen Säuberung“ Deutschlands im Nationalsozialismus waren es „ausländische“ Migrant*innen, die hauptsächlich in der Binarität „Ausländer“ und „Deutscher“ fixiert wurden.

Der „Volksdeutsche“ als Kontrastfolie
Als wichtigstes Bollwerk zur Aufrechterhaltung der Überzeugung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, kann das auf dem ius sanguinis (Blutsrecht) basierende Reichs- und Staatsbürgerschaftsrecht (RuStaG) angesehen werden, das zwischen 1913 und 1999 durchgängig ohne substanzielle Veränderung gültig war. Der Apparat, in dem das Staatsbürgerschaftsrecht gedeutet und umgesetzt wurde, war zudem der Ort, an dem sich das binäre Andere zu „Ausländer“ im Konzept des „Volksdeutschen“ als Norm für den deutschen Staatsbürger am längsten am Leben hielt.

Die Einschätzung des Historikers Dieter Gosewinkel, das RuStaG spiegelte eine ethnisch-kulturelle Auffassung von Nation und sei ob seiner großen Ermessensspielräume auch für ein demokratisches Staatsgebilde wie die Bundesrepublik angemessen gewesen,[12] ist nicht haltbar. Damit bagatellisiert er die völkisch-rassischen Ziele, die 1913 unter Federführung der Radikalnationalisten auch als Abwehrmittel gegen volkstumspolitisch beziehungsweise rassisch unerwünschte Einwander*innen kodifiziert wurden. Darunter zählten „Schutzgebietsangehörige“ aus den Kolonien wie auch ost- und südeuropäische Arbeitsmigrant*innen.[13] Diese Ausschlüsse prägten das Gesetz und damit die Auffassung von Staatsbürgerschaft und von „Deutsch-Sein“. Der Historiker Oliver Trevisiol wies zudem nach, dass sich das Konzept des „Deutschen“ zwischen 1871 und 1945 in der Einbürgerungspraxis stetig biologisierte. Mit der Übernahme der Kategorie der „deutschen Volkszugehörigkeit“ ins Grundgesetz wurde dieses biologistische Verständnis prominent in die Bundesrepublik transferiert.[14] Schließlich wurde das behördliche Ermessen in der Einbürgerungspraxis der Bundesrepublik in der Summe alles andere als liberal angewandt, wie im Folgenden gezeigt wird. Diese Aspekte geben Anlass, das Konzept „deutsches Volk“ seit 1945 neu zu bewerten.

Der Bericht eines Oberrechtsrats aus der Einbürgerungsbehörde des Ordnungsamtes Mannheim von 1960 liefert dafür einige Hinweise: „Schon die richtige Beachtung der Einbürgerungsgrundsätze vor der Einbürgerung kann dafür sorgen, daß dem deutschen Volkskörper nur nützliche und wertvolle Glieder durch Einbürgerung zugeführt werden. Dadurch bleibt auch die Gefahr einer für den Volksbestand nachteiligen Entwicklung gering.“[15] Nicht-„volksdeutsche“ Einwander*innen hatten keinerlei Möglichkeiten, sich ein Recht auf Einbürgerung zu erwerben. Es bestand kein Antragsrecht, ja die Herausgabe der Formulare konnte einfach verweigert werden, wenn die Aussichten auf Einbürgerung, so die offizielle Sprachregelung, schlecht waren. In der Praxis war dies ein Mittel, um Einbürgerungsanträge unliebsamer Gruppen zu minieren.[16] Die „persönlichen Wünsche und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bewerbers können nicht ausschlaggebend sein“, wie es in den Einbürgerungsrichtlinien von 1958 hieß, auch wenn zu den formellen Voraussetzungen ein mindestens zehnjähriger Aufenthalt sowie gute wirtschaftliche und gesundheitliche Verhältnisse gehörten. Große Bedeutung wurde auch der „kulturelle[n] Eignung“ zugemessen: Das Bekenntnis zum „deutschen Volk“ musste glaubhaft gemacht und die Zuwendung zum „deutschen Kulturkreis“ sichtbar sein. Entscheidend war jedoch das staatliche Interesse, dessen Beurteilung vollends im behördlichen Ermessen lag. [17]

Wie dieses Ermessen jeweils auf unterschiedliche Gruppen anzuwenden war, war Inhalt regelmäßiger Treffen der Staatsbürgerschaftsreferenten des Bundes- und der Landesinnenministerien seit Anfang der 1950er Jahre. Aus einem Protokoll von 1955 stammt etwa die folgende Einschätzung und Leitlinie zu „Antragstellern aus dem Kreise der DPs“ – also den displaced persons, in ihrer Mehrzahl ehemalige Zwangsarbeiter*innen und sogenannte ausländische Zivilarbeiter*innen –, die inzwischen den Status der heimatlosen Ausländer hatten. Ihre etwaigen Einbürgerungswünsche wurden pauschal infrage gestellt, denn sie seien „durch die Kriegsereignisse und ihr eigenes Verhalten nach dem Kriege gegenüber der deutschen Bevölkerung so stark mit Ressentiments belastet“, dass man nicht davon ausgehen könne, „dass sie innerlich mit dem deutschen Volkstum verwachsen werden“.[18] Dies setzte, auch in der Terminologie, die Logik der NS-Volkstumspolitik fort.

Die behördlichen Praktiken vor Ort konnten noch restriktiver sein: So besprach sich beispielsweise im Juli 1969 der Oberinspektor für Einbürgerungen im Ordnungsamt Mannheim mit einem Kollegen dahingehend, dass „den Ermessenseinbürgerungen vielfach ein Riegel vorgeschoben werden sollte“. Man könne die Wartezeit von 10 auf 15 Jahre und die bereits hohe Einbürgerungsgebühr noch weiter anheben. Sie erörterten konkret den Fall eines Bewerbers aus Jugoslawien: „Nach Ablauf der vorgeschriebenen Minimalfrist erhalten wir also einen neuen Bundesbürger, den man doch wohl kaum als Deutschen bezeichnen kann“.[19]

Eine Gruppe, die aus Sicht der Entscheidungsträger ebenso kaum als künftige Deutsche betrachtet wurden, waren lange Zeit die „Bewerber aus Entwicklungsländern“. Außereuropäer*innen aus den so definierten Ländern – fast alle außer den kommunistischen und den angloamerikanischen –, intern oft „Afro-Asiaten“ genannt, was eine Chiffre für dunkelhäutige Menschen war –, waren Anfang der 1960er Jahre bereits aktiv als Arbeitsmigrant*innen ausgeschlossen worden.[20] Dennoch gelangten Menschen aus diesen Ländern, oft als Studierende, nach Deutschland. Die Einbürgerung wurde ihnen mit allerlei Winkelzügen erschwert oder verweigert, selbst wenn diese, meist männlichen Bewerber mit einer deutschen Frau verheiratet und seit Jahren in Mangelberufen etabliert waren.[21] Dabei wurden die Behörden intern angewiesen, „vor allem zum Ausdruck zu bringen, daß entwicklungspolitische Gesichtspunkte der Einbürgerung entgegenstehen“.[22] Dahinter ließen sich gut die Bedenken gegen die „soziologischen Unterschiede“ verbergen, vor denen das Bayerische Innenministerium 1963 verklausuliert in Bezug auf die „Angehörigen der afrikanischen und asiatischen Staaten“ gewarnt hatte.[23]

Ein weiterer Fokus lag bei den „Gastarbeitern“. „Bei Gastarbeitern wird im allgemeinen davon auszugehen sein, dass sie nur zu einem vorübergehenden Aufenthalt nach Deutschland kommen“, was gemäß der Einbürgerungsrichtlinie von 1971 bereits als Grund angesehen wurde, die Antragstellung als aussichtlos zu bewerten.[24] Neben weiteren Einschränkungen wurde verfügt, dass die Mitgliedschaft in „politischen Emigrantenorganisationen“ sie für die Einbürgerung disqualifiziere.[25] Was man genau unter einer solchen verstand, wurde nicht weiter definiert.

Die geringe Einbürgerungszahl der Arbeitsmigrant*innen wurde auch in der Forschung immer wieder als Nachweis angeführt, dass sie die Einbürgerung gar nicht gewünscht hätten. Tatsächlich belief sich die Einbürgerungsquote in den 1970er und 1980er Jahren zwischen 0,25 und 0,38 Prozent, davon nur ein Drittel „Gastarbeiter“, ein extrem niedriger Wert.[26] Selbst als in den 1990er Jahren nach einigen Einbürgerungserleichterungen für die sogenannte zweite Ausländergeneration die Quote auf ein Prozent stieg, blieb in Deutschland im europäischen Vergleich der „Bevölkerungsanteil an Nicht-Staatsangehörigen besonders hoch und die Einbürgerungsrate besonders niedrig“.[27]

Paradigmatisch sei als Indiz gegen das Narrativ, dass Arbeitsmigrant*innen kaum Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft gehabt hätten, folgende Statistik angeführt: Bei einer Sondererhebung im Rahmen des Mikrozensus des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg gaben im April 1978 46 Prozent aller befragten Haushaltsvorstände aus den Anwerbeländern an, keine Rückkehr in ihre Heimat zu planen; von diesen 46 Prozent strebten wiederum 32 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit an. Selbst von jenen 29 Prozent, die noch nicht sicher waren, ob sie zurückkehren würden, erwogen immerhin zwölf Prozent, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Auf alle Befragten entfiel somit ein Anteil von 17 Prozent, die die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebten.[28] Wie war die Haltung der deutschen Bevölkerung dazu? Eine nicht publizierte, vertrauliche Umfrage, die Infratest für die Baden-Württembergische Landesregierung im Dezember 1973 vorgenommen hatte, ergab auf einer Skala von eins (völlige Ablehnung) bis sieben (vollständige Zustimmung) auf die Frage, ob aus den Gastarbeitern deutsche Staatsbürger werden sollten, den sehr niedrigen Wert 2,1.[29] Das deutet an, dass die restriktive Einbürgerungspolitik in ihrem Sinne war.[30]

Zahlreiche weitere Quellenbelege lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Entscheidungsträger zum einen aus eigenen Überzeugungen heraus und zum anderen proaktiv mit Rücksicht auf große Teile der deutschen Bevölkerung lange nicht an der Binarität „Ausländer“ und „Deutscher“ rütteln wollten.[31] Zwar war die Übernahme des Begriffes „Volkszugehörigkeit“ in das Grundgesetz erfolgt, um den deutschen Aussiedler*innen die Türen nach Deutschland offen zu halten und zudem den Anspruch auf die deutsch-deutsch Vereinigung zu untermauern.[32] Dennoch reproduzierte dieser Begriff biologistisch-völkische Vorstellungen. Da mit ihm mindestens bis Mitte der 1980er Jahre hinein innerhalb des Staatsbürgerschaftsapparats bedenkenlos operiert wurde, zumal auch Einwander*innen mit „deutschem Blut“ ihr „Deutschtum“ nachweisen mussten,[33] blieb er Teil des institutionellen Gedächtnisses und Transmitter rassistischen Wissens. Der „Volksdeutsche“ bildete, als organischer Teil des „deutschen Volkes“ imaginiert, lange die Kontrastfolie, auf der innerhalb dieses Apparates „Ausländer“ produziert und aus dem „deutschen Volk“ ferngehalten wurden.

„Ausländerfeindlichkeit“ und andere Deckbegriffe für Rassismus
Doch „Ausländer“ umfasst weitere Bedeutungsdimensionen. Eine davon lässt sich aus dem Konzept „Ausländerfeindlichkeit“ herleiten. Es kam Mitte der 1970er Jahre auf und bezeichnete ein gesellschaftliches Phänomen, das sich, so wurde es von Zeitgenoss*innen und retrospektiv interpretiert, in der „Krise“ – am Endes des wirtschaftlichen Booms und bei steigender Arbeitslosigkeit – entwickelte. Diese Lesart verkennt jedoch, dass es auch zuvor rassistische Haltungen und Praktiken gegenüber Migrant*innen gegeben hatte, die sich immer wieder lokal in Form von Bürger*innen-Protesten, Diskriminierungen auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt und den Bildungseinrichtungen sowie in zahllosen Mikroaggressionen entluden.[34] In der „Krise“ hatten sich allerdings die Sagbarkeitsregeln verschoben, rassistische Haltungen wurden offener verbalisiert und ausagiert und dabei auch von großen Teilen der Politik toleriert oder gar als legitim erachtet. Damit wurden sie nicht nur sozial akzeptabel, sondern stellenweise politikleitend.

Von „Ausländerfeindlichkeit“ waren keine „weißen“ Schweden, Schweizer oder Briten betroffen, woraus ersichtlich wird, dass „Ausländer“ nicht formaljuristisch verstanden wird, sondern eine biologistische, Herkunft wertende und hierarchisierende und damit an Rassekonzepte anschließende Bedeutungsdimension hat.[35] Es gibt ein geteiltes gesellschaftliches Wissen darüber, wer die „Ausländer“ sind, gegen die man feindlich eingestellt ist. Dabei lassen sich Hierarchien ausmachen, die sich im Zeitverlauf verschieben. Ebenso sind jeweils andere Gruppen Innbegriff des „Ausländers“, der dämonisiert, kriminalisiert, infantilisiert oder als minderwertig markiert wird: vom „Ostarbeiter“, dem Schwarzen GI,[36] dem italienischen „Spaghettifresser“ und „Messerstecher“, zum „Asylanten“ bis hin zum „Nordafrikaner“ heute. Die „Türken“ – denen der Bielefelder Zeithistoriker Hans-Ulrich Wehler in seinem Opus Magnum die „Erblast“ der „Bildungsferne der Anatolier“ attestierte –,[37] haben als größte Herkunftsgruppe dabei immer wieder diese Rolle eingenommen.

In einem Interview für das „Zeit“-Magazin 2010 bekannte etwa der langjährige Mitherausgeber der „Zeit“ und Altkanzler Helmut Schmidt, dass er „schon in den frühen 1970er Jahren eine Bremsung der Einwanderung aus allzu fremden Kulturen als notwendig erkannt und später gefördert habe“. Das Interview fand im Gefolge der Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ statt. Schmidt sprach sich darin gegen den Ausschluss des Autors aus der SPD aus: Immerhin habe er in seinem Buch einen Nerv getroffen, da vor allem „Leute aus asiatischen Ländern“ – hier eine Chiffre für „Türken“ – kulturell und nicht aus genetischen Gründen, wie es Sarrazin behauptete, tatsächlich kaum zu integrieren seien. Sarrazin gebe ja Sachverhalte wieder, die „von vielen Leuten in Deutschland ähnlich gesehen“ würden.[38]

Dabei war es Bundeskanzler Schmidt, der im Juni 1982 Spitzenvertreter*innen aus Politik, Verbänden und Kirchen zu einem Austausch geladen hatte, da ihn „die zunehmend ablehnende Haltung bei nicht wenigen Bürgern in unserem Land gegenüber den bei uns lebenden Ausländern […] mit großer Sorge“ erfüllte.[39] Neben den lokalen „Anti-Ausländer-Initiativen“ und zahlreichen „ausländerfeindlichen“ Bürgerbriefen dürfte auch eine Studie des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas) das Bundeskanzleramt alarmiert haben: Darin wurden „knapp die Hälfte der Bundesbürger als ausländerfeindlich eingestuft“ und empfohlen, das „bisher eher ignorierte Problem der Ausländerfeindlichkeit“, das auf Emotionen und kaum auf Fakten beruhe, mit Verweis auf das Grundgesetz und die deutsche Geschichte ebenso emotional zu kontern.[40]

Während des Treffens herrschte jedoch nicht einmal Konsens darüber, ob überhaupt „Ausländerfeindlichkeit“ vorlag: So wies der baden-württembergische Vertreter Gerhard Weiser darauf hin, dass es sich bei diesem Phänomen vielmehr um „Existenzangst der Deutschen“ handele.[41] In einem internen Entwurf des Stuttgarter Innenministeriums zur Ausländerpolitik von 1981 war ähnlich argumentiert worden: Nicht die Deutschen seien ausländerfeindlich oder die Wirtschaft und Infrastruktur nicht mehr aufnahmefähig, sondern das Problem bestehe in der Entstehung „von Inseln fremder Lebensart und fremder Kultur mitten in unseren Städten, die bei der einheimischen Bevölkerung den Eindruck der Überfremdung auslösen“.[42] Auch der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl und der Soziologe Hartmut Esser betonten während der Zusammenkunft im Bundeskanzleramt 1982, dass die Türken nicht zu integrieren oder integrationswillig seien; das „Türkenproblem“ sei nicht lösbar, „wenn alle Türken, die hier sind, auch hier bleiben“.[43]

Als Bundeskanzler wiederholte Kohl diese Ansichten einige Monate später sogar auf internationalem Parkett: In einem seiner ersten Treffen mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher am 28. Oktober 1982 erklärte er vertraulich: „It would be necessary to reduce the number of Turks in Germany by 50%“, da sie nicht assimilierbar seien. Seine Schritte, um die Zahl der Einwanderer zu reduzieren und weitere Einwanderung zu verhindern, deutete Kohl Thatcher bereits an: das 1983 in Kraft getretene Rückkehrhilfegesetz sowie die Aussetzung der Freizügigkeit für Türk*innen, die gemäß Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der EG 1986 anstand. Die Frage Thatchers, ob Türken in Deutschland Staatsbürger werden konnten oder wählen dürften, negierte Kohl und führte aus, dass Deutschland anders als Großbritannien mit seiner langen Kolonialgeschichte, nicht viel Wissen darüber habe, „how to deal with foreigners“. [44] Auch der Soziologe Esser argumentierte in einem Text von 1983, dass Deutsche mit „Fremdheit“ nicht umgehen könnten, da sie keine Kolonialerfahrung gemacht hätten.[45]

Weit bedenklichere Erklärungen bot der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt an: Die Angst vor Fremden und der aggressive Schutz der (biologischen) Homogenität der Gruppe seien natürliche Impulse. Ebenso berechtigt sei die Angst vor kultureller Verdrängung. Die Regierung des „Wirtsvolkes“ hätte somit die Pflicht, dessen Interesse vor das der „Ausländer“ zu stellen.[46] Die Theorie von der Fremdenangst und -feindlichkeit als anthropologischem Prinzip fand relativ schnell Eingang in politische, mediale und wissenschaftliche Diskurse. Der britische Philosoph Martin Barker hatte angesichts paralleler Entwicklungen in Großbritannien bereits 1980 vor dem Konzept der Xenophobie gewarnt. Es legitimiere auf Grundlage spekulativer Erkenntnisse der Soziobiologie, politische Maßnahmen gegen „Fremde“ nur wegen ihres „Fremdseins“ zu ergreifen. Rassismus werde damit unter einem neuen Namen gesellschaftsfähig gemacht.[47] In Deutschland mündete dieser Diskurs darin, das Konzept „Ausländer“ im Innbegriff des „Türken“ als ewig fremd zu markieren.

Race, Rassismus und Zeitgeschichte
Die deutsche Zeitgeschichte thematisiert bislang zu wenig, dass Hemmnisse in der Transformation Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft maßgeblich auf den Einfluss rassistischen Wissens zurückzuführen sind. Bisher wurde etwa die Entwicklung von Einbürgerungsrecht und -praxis, Ausländerpolitik und Demokratiegeschichte zu wenig zusammengedacht. Denn die Tatsache, dass die restriktiven Praktiken des Staatsangehörigkeitsapparats dazu beitrugen, einer großen Bevölkerungsgruppe über Jahrzehnte grundlegende Rechte wie das Wahlrecht vorzuenthalten, stellt das Narrativ der „geglückten Demokratie“ infrage. Ebenso sollte eine Ausländerpolitik, deren Protagonist*innen rassistische Haltungen von Bürger*innen legitimierten, indem sie ihre „Überfremdungsangst“ – die die Deutschen ebenso seit dem Kaiserreich immer wieder überkam – anerkannten und die „Fremdheit“ als das eigentliche gesellschaftliche Problem behandelten, als das bewertet werden, was sie war: rassistisch.

Eine rassismuskritische Analyse bis in die Gegenwart kann aufzeigen, dass das Rassekonzept – hier mit race als methodologischem Terminus operationalisiert – sich auch nach der „Stunde Null“ im Konzept „Ausländer“ weiter entfaltet hat und Bestandteil von Differenzkriterien wie Herkunft, Kultur oder Religion wurde, sofern damit gesellschaftliche Ungleichheit legitimiert, die Wertigkeit von Gruppen innerhalb einer Machtasymmetrie definiert oder ihr pures Anwesenheitsrecht als „Andere“ in Abrede gestellt wird. Eine Geschichtswissenschaft, die nicht untersucht, ob und wie rassistisches Wissen in der postkolonialen und postnationalsozialistischen Gesellschaft Wirkung zeigte, läuft Gefahr, selbst Teil des Ignoranzsystems zu sein, das dieses Wissen erhält. Deutschland sei nicht rassistischer als andere Länder, hatte Kohl während des Treffens im Bundeskanzleramt im Juni 1982 gesagt.[48] Aber auch nicht weniger.

 

Fußnoten
1.
Vgl. David Theo Goldberg, Racist Culture: Philosophy and the Politics of Meaning, Oxford–Cambridge MA 1993; Richard Delgado/Jean Stefancic, Critical Race Theory: An Introduction, New York–London 20122.
2.
Vgl. Maria Alexopoulou, Producing Ignorance: Racial Knowledge and Immigration in Germany, 27.7.2018, https://historyofknowledge.net«; dies., Blinde Flecken innerhalb der zeithistorischen Forschung in Deutschland. Eine Antwort auf Martin Sabrows Kommentar „Höcke und Wir“, 9.2.2017, https://zeitgeschichte-online.de/kommentar/blinde-flecken-innerhalb-der-zeithistorischen-forschung-deutschland«.
3.
Achim Bühl, Rassismus. Anatomie eines Machtverhältnisses, Bonn 2017, S. 16f. Aktuellstes und sehr prägnantes Beispiel dafür ist der Fall Mesut Özil.
4.
„Rassialisiert“ bringt zum Ausdruck, dass es sich um einen sozialen Prozess und bei dem Konzept „Rasse“ um ein soziales Konstrukt handelt, das von Akteur*innen hergestellt wird.
5.
Dazu erscheint im Frühjahr 2019 folgender Aufsatz: Maria Alexopoulou, ‚Ausländer‘ – A racialized concept? ‚Race‘ as Analytical Concept in Contemporary German Immigration History, in: Mahmoud Arghavan et al. (Hrsg.), Who Can Speak and Who is Heard/Hurt? – Facing Problems of Race, Racism and Ethnic Diversity in the Humanities in Germany, Bielefeld 2018, S. 1–21. Vgl. auch Rita Chin, Thinking Difference in Postwar Germany: Some Epistimological Obstacles around „Race“, in: Cornelia Wilhelm (Hrsg.), Migration, Memory, and Diversity. Germany from 1945 to the Present, New York 2017, S. 206–229.
6.
Vgl. Klaus J. Bade, Zur Karriere abschätziger Begriffe in der deutschen Asylpolitik, in: APuZ 25/2015, S. 3–7.
7.
Vgl. Baden-Württemberg Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung (Hrsg.), Aspekte der langfristigen Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg, Stuttgart 1978.
8.
Diese Wendung geht wohl auf den ersten Ausländerbeauftragten der Bundesregierung Heinz Kühn zurück. Heinz Kühn, Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland (1979), in: Deniz Göktürk et al. (Hrsg.), Transit Deutschland, München 2011, S. 358ff., hier S. 359.
9.
Einbürgerungsrichtlinie, Abschnitt 2.3, 15.12.1977, http://www.jurion.de/gesetze/ebrichtl/2«.
10.
Kommission Ausländerpolitik, Bericht des Ausschusses Integration, 21.2.1983, BArch, B 106/31339, p. 155.
11.
Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, München 2001, S. 14–189.
12.
Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001, S. 424ff. Vgl. auch ders., Schutz und Freiheit? Staatsbürgerschaft in Europa im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2016, passim.
13.
Vgl. Peter Walkenhorst, Nation, Volk, Rasse: radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007, S. 149–165. Zu den Kolonien vgl. Dominik Nagl, Grenzfälle. Staatsangehörigkeit, Rassismus und nationale Identität unter deutscher Kolonialherrschaft, Frankfurt/M. 2007.
14.
Oliver Trevisiol, Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich: 1871–1945, Göttingen 2006, S. 208, passim.
15.
Bericht Ordnungsamt Mannheim an das Regierungspräsidium (i.F. RP) Karlsruhe, 6.10.1960, Marchivum, Zug. 10/2005, Nr. 14.
16.
So beispielsweise in einer Weisung des RP Karlsruhe an die unteren Verwaltungsbehörden, 10.3.1973, Marchivum, Zug. 10/2005, Nr. 14. Konkret in diesem Fall wollte man in einer Sachfrage die Anweisung aus dem Bundesministerium des Innern abwarten.
17.
Richtlinien für die Behandlung von Ermessenseinbürgerungen, 29.7.1958, Marchivum, 10/2005, Nr. 14.
18.
Niederschrift, 14.10.1955, BArch, B 106/73258.
19.
Interner Vermerk, Polizeibehörde, 30.7.1969, Betr. Einbürgerungen, Marchivum, Zug. 10/2005, Nr. 14.
20.
Darunter etwa auch Schwarze Portugiesen. Vgl. Karen Schönwälder, Einwanderung und ethnische Pluralität. Politische Entscheidungen und öffentliche Debatten in Großbritannien und der Bundesrepublik von den 1950er bis zu den 1970er Jahren, Essen 2001, S. 257–277.
21.
Niederschrift, Innenministerium Nordrhein-Westfalen, 11.6.1969, BArch, B 106/73264.
22.
Besprechung, Referenten für Staatsangehörigkeitsrechts mit Vertretern des Innenministeriums Baden-Württemberg und RP Nordbaden, 8.9.69, Marchivum, Zug. 10/2005, Nr. 14.
23.
Schnellbrief, Bayerisches Innenministerium, 26.4.1963, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 2/303 Bü 271.
24.
Ministerium des Innern, Baden-Württemberg an die RP, Schnellbrief über die Einbürgerungsrichtlinie 1971, 13.4.1971, Nr. 4.2.2 EbRichtl. 1971, Marchivum, Zug. 10/2005, Nr. 14.
25.
Ebd., Nr. 4.2.2 EbRichtl. 1971.
26.
Siehe Christian Dornis, Einbürgerung in Deutschland. Ihre Rolle bei der Integration von Zuwanderern und die Verwaltungspraxis im Regionalvergleich, Aachen 2001, S. 136, Abb. 28.
27.
Theresa Wobbe/Roland Otte, Politische Institutionen im gesellschaftlichen Wandel. Einbürgerung in Deutschland zwischen Erwartungen von Migranten und staatlicher Vorgabe, in: Zeitschrift für Soziologie 2000, S. 444–462, hier S. 444.
28.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Die Ausländer, Stuttgart 1979, S. 91, Tb. 68.
29.
Infratest, Bericht (vertraulich) – Politik in Freiburg und Mannheim. Zusammenfassender Bericht, S. 27, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 1/114 Bü 45. Die Daten beziehen sich auf Befragte in ganz Baden-Württemberg.
30.
Die Frage nach der Zustimmung zur Einbürgerung von Gastarbeiter*innen wurde in repräsentativen Umfragen jener Jahre nur selten gestellt. So kam sie bei den Umfragen des Allensbach-Instituts, das Daten zur Haltung der deutschen Bevölkerung zu „Gastarbeitern“ relativ regelmäßig und bereits seit 1956 erhob, nicht vor. Doch selbst wenn sie gestellt wurde, wurde das Ergebnis nicht zwangsläufig publiziert: So weist der Fragebogen für die deutschen Teilnehmer*innen einer repräsentativen Umfrage, die 1977 unter Leitung Hartmut Essers durchgeführt wurde, diese Frage zwar auf. Aber die entsprechende publizierte Forschungsauswertung geht darauf nicht ein. Vgl. Manfred Kremer/Helga Spangenberg, Assimilation ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, Königstein/Ts. 1980. Der Fragebogen findet sich im Anhang.
31.
Vgl. Alexopoulou (Anm. 5).
32.
So angedeutet auch in den Richtlinien für die Behandlung von Ermessenseinbürgerungen, 29.7.1958, Marchivum, 10/2005, Nr. 14.
33.
Siehe als Beispiel das Protokoll einer Sitzung der Staatsangehörigkeitsreferenten in Bonn, 5.–6.12.1985, BArchiv, B 106/320922.
34.
Vgl. dazu Georgios Tsiakalos, Ausländerfeindlichkeit. Tatsachen und Erklärungsversuche, München 1983, S. 12ff.; vgl. ebenso Alexopoulou (Anm. 5).
35.
Vgl. Annita Kalpaka/Nora Räthzel (Hrsg.), Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, Berlin 1986, S. 12ff.
36.
Vgl. Maria Höhn, Amis, Cadillacs und „Negerliebchen“. GIs im Nachkriegsdeutschland, Berlin 2008.
37.
Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5, München 2008, S. 42.
38.
Giovanni di Lorenzo, Verstehen Sie das, Herr Schmidt?, 16.9.2010, http://www.zeit.de/2010/38/Helmut-Schmidt-Integration/komplettansicht«.
39.
Einladungsschreiben des Bundeskanzlers, 18.3.1982, BArch, B 136/15047.
40.
Dieter Just/Peter Casper Mühlens: Ausländerproblem oder deutsches Symptom?, o.D., BArch, B 136/15048.
41.
Protokoll der Sitzung, 22. Juni 1982, ebd.
42.
Text eines Ministerialdirektors zum Positionspapier des Innenministeriums zur Ausländerpolitik, o.D. [1980/81], Hauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 2/303 Bü 287.
43.
Protokoll der Sitzung, 22. Juni 1982, BArch, B 136/15048.
44.
Record of Conversation, 28. Oktober 1982, Margaret Thatcher Foundation, http://86e87754c1530cd7c4a7-873dc3788ab15d5cbb1e3fe45dbec9b4.r88.cf1.rackcdn.com/821028« MT-Kohl memcon 19-1036 f135.pdf. Vgl. zum Thema Assoziationsabkommen mit der Türkei Tim Szatkowski, Die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei 1978 bis 1983, Berlin–Boston 2016, S. 101–110, passim. Diese Politik war bereits von der Regierung Schmidt eingeleitet worden.
45.
Hartmut Esser, Die fremden Mitbürger: Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Ausländern, Düsseldorf 1983, S. 25–38, hier S. 25.
46.
Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Angst vor dem Menschen. Von den Wurzeln diskriminierenden Verhaltens, in: Süddeutsche Zeitung, 3./4.7.1982.
47.
Martin Barker, New Racism: Conservatives and the Ideology of the Tribe, London 1981.
48.
Protokoll der Sitzung, 22. Juni 1982, BArch, B 136/15048.

… in der DDR

In der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1974 stand in Artikel 6: „Die [DDR] hat getreu den Interessen des Volkes und den internationalen Verpflichtungen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet.“ Gemäß diesem Satz war die DDR ein antifaschistischer Staat ohne rechtsextremes Gedankengut oder Rassismus.

Die Realität in der DDR sah aber oftmals anders aus. Bis 1989 geht man von bis zu 700 rassistischen Vorfällen in der DDR aus. Auch wenn Rechtsextremismus und Neonazismus in der DDR nie ganz verschwunden waren, so waren sie auch kein Massenphänomen.

Dennoch bestritten die DDR-Behörden jedes Fortbestehen von Rechtsextremismus in der DDR, verheimlichten rechtsextreme Vorfälle oder schrieben sie „Randalierern“, „Rowdys“ oder „negativ-dekadenten Jugendlichen“ zu.

„Die DDR verkörpert die Ideale des antifaschistischen Kampfes!“

Erich Honecker, Staatschef der DDR in einer Rede im April 1985

(Honecker, Erich: „Die DDR verkörpert die Ideale des antifaschistischen Kampfes“, in: Erich Honecker, Frieden – höchste Gut der Menschheit. Ausgewählte Reden und Aufsätze zur Militär- und Sicherheitspolitik der SED (1982-1986), Berlin (Ost), 1987, S.244-248.)

Angriff auf einen Jugendclub 1989

Eine DDR-Bürgerin mit Migrationshintergrund berichtet 1989 in der oppositionellen DDR-Zeitung „telegraph“ über einen rassistischen Angriff mehrerer Jugendlicher in einem Berliner Jugendclub:

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„Ständiger Mittelpunkt der Angriffe“

Am Ende einer Veranstaltung im Berliner Jugendclub „jojo“ hatten wir am 26. Oktober [1989] eine unangenehme Begegnung mit mehreren anscheinend überwiegend nationalistischen Schulklassen. Zwei Freunde und ich wurden von den Schülern umringt, die uns mit Beschimpfungen unmissverständlich neofaschistischen Charakters überhäuften. Ich war auch im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen wegen meiner dunklen Hautfarbe ständiger Mittelpunkt der Angriffe. Als Beispiele seien nur einige genannt wie „Drecksnigger“, „Türkenschwein“, „Judensau“ und ähnlich sattsam bekanntes Vokabular neofaschistischer Gruppierungen. Als wir den Jugendclub verließen, waren 30-40 Schüler versammelt und warteten auf uns. Sofort begannen wieder die Provokationen. Ein Freund von mir und ich wurden mehrere Male geschlagen und mit Füßen getreten. Dabei tat sich ein Jugendlicher auf besonders brutale Weise hervor. Einer meiner Freunde nahm diesen beiseite, um mit ihm zu reden. Der ließ sich aber nicht beruhigen und begann zu schlagen. Mein Freund verlor einen Schneidezahn. Während die anderen zusahen, drängten mehrere Schüler auf mich ein und begannen mich von Neuem zu beschimpfen, zu treten und zu schlagen. Die für uns zunehmend gefährliche Situation löste sich auf, als beim Eintreffen eines VP-Streifenwagens alle Schüler flüchteten.

(Quelle: DDR-Oppositions-Zeitschrift telegraph, Nr.8/89, vom 16. November 1989. https://telegraph.cc.)

Freundschaft statt Feindschaft

Viele DDR-Bürger*innen hatten ein freundschaftliches Verhältnis zu den ausländischen Arbeitskräften. Rita S. arbeitete als Spinnerin und berichtet 1989 über ihre Arbeitskolleg*innen:

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Freundschaft statt Feindschaft

Unsere C-Schicht ist nun schon seit acht Jahren international besetzt, zurzeit mit 13 Kolleginnen und Kollegen aus Polen, Vietnam und Mosambik und 7 Deutschen. Sicher gab es mit dem einen oder anderen am Anfang Schwierigkeiten, weil die Arbeit ungewohnt war, aber bis jetzt ist noch bei jedem irgendwann ‚der Knoten geplatzt‘. Konsequenz ist schon nötig, da gibt es keine Unterschiede zwischen Ausländern und Deutschen. Letzteres gilt genauso für das Brigadeleben. Wir wandern zusammen, haben Fasching gefeiert und planen eine BRD-Fahrt. Viele der Mädchen würden wir am liebsten nach ihren fünf Jahren bei uns gar nicht mehr weglassen.“

(Quelle: WIR, Nr. 3/90, 1. Februar-Ausgabe, 35. Jahrgang, Betriebszeitung der Werktätigen des VEB Baumwollspinnerei Flöha und der Zwirnerei und Nähfadenfabrik Oederan. Quelle.)

Warum so unfreundlich?

Nguyen T. N. A. war Spinnerin in der VEB „Vereinigte Baumwollspinnereien und Zwirnereien Flöha“ im sächsischen Werk Gückelsberg. In der Betriebszeitung berichtet sie 1990 über ihre Erlebnisse in der DDR:

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So unfreundlich?

„Ich war Kindergärtnerin in Ho-Chi-Minh-Stadt und bin 1988 erwartungsvoll in die DDR gekommen, wollte Land, Natur und Menschen kennenlernen. Auf Arbeit gab es auch keine Probleme, denn die Kolleginnen in der Grünschicht [Frühschicht] sind fast alle älter; und sehr nett. Aber warum sind viele junge Leute, die uns gar nicht kennen, so unfreundlich? Wir arbeiten doch hier und möchten unser Geld natürlich auch ausgeben.“

(Quelle: WIR, Nr. 3/90, 1. Februar-Ausgabe, 35. Jahrgang, Betriebszeitung der Werktätigen des VEB Baumwollspinnerei Flöha und der Zwirnerei und Nähfadenfabrik Oederan. Quelle.)

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Marianne Neumann: „Wir gehören zusammen“

Für Marianne Neumann war es völlig klar, dass die Menschen beider deutschen Staaten zusammengehörten. Aufgrund eigener Erfahrungen vermutete sie aber auch, dass es für viele DDR-Bürger*innen schwierig werden könnte, plötzlich in einer kapitalistischen Gesellschaft zu leben.

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Von Rassismus keine Spur

Auch nach dem Mauerfall erlebten weder Hong Trung Dinh noch dessen Umfeld Anzeichen von gewalttätigem Rassismus. Von rassistischen Ausschreitungen oder Gewalt erfuhr Dinh ausschließlich aus dem Fernsehen.

Jugendliche mit der Reichskriegsflagge des Deutschen Kaiserreichs bei der Montagsdemo am 24.01.1990. Die Reichskriegsflagge wird bis heute meist von rechtsradikalen Gruppen genutzt. Leipzig wurde 1990 zum Hotspot der rechtsextremen Szene. Am 29. Januar 1990 gründete sich in Leipzig der erste DDR-Kreisverband der westdeutschen, rechtskonservativen und teils rechtsextremen Partei „Die Republikaner“. Eine Woche später versuchten 200 bis 300 Rechtsradikale, den Demonstrationszug anzuführen, was ihnen jedoch misslang. (imago images / sepp spiegl)

Menschen in Bewegung ‒ die Umbruchjahre 1989/1990

Die erfolgreichen friedlichen Demonstrationen 1989 gegen das DDR-Regime und die Öffnung der Grenzen hatten zur Folge, dass Zehntausende DDR-Bürger*innen in die Bundesrepublik reisten. Aber nicht nur aus der DDR reisten Menschen in die Bundesrepublik. Die Unruhen und wirtschaftlichen Krisen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks veranlassten viele Menschen zur Migration. Dies betraf vor allem die Gruppe der „(Spät-)Aussiedler*innen“ aus dem östlichen Europa. Für sie bedeutete der Mauerfall und der Zerfall des Ostblocks vielfach eine neue Chance. Durch den Wegfall der Reisebeschränkungen konnten sie ausreisen und ein Leben in der Bundesrepublik beginnen. Erleichtert wurde dies durch die rechtlichen Rahmenbedingungen des „Aussiedlerstatus“

Aussiedler*innen und Spätaussiedler*innen

Als Aussiedler (Migration bis Dezember 1992) und Spätaussiedler (Migration nach Januar 1993) versteht man Zugenwanderte aus deutschen beziehungsweise deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen, die aus einem Staat des Ostblocks bzw. des ehemaligen Ostblocks in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Bis Ende der 1980er Jahre waren die meisten Aussiedler aus Polen und Rumänien. Mit der Öffnung der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow ab 1988 kamen auch verstärkt Menschen aus der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten. Zu dieser Gruppe gehörten auch die rund 2,3 Millionen Russlanddeutschen, die vor allem in den 1990er-Jahren in die Bundesrepublik einwanderten.

Aussiedlerstatus

Aussiedlerstatus“: Gegenüber anderen Migranten*innen und Asylsuchenden hatten (Spät-)Aussiedler*innen einen erleichterten Zugang zur bundesdeutschen Staatsangehörigkeit und zu Eingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt. Sie sind berechtigt, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten und verschiedene Eingliederungshilfen in Anspruch zu nehmen. Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 BVFG, wer von einem deutschen Staats- oder Volkszugehörigen abstammt, wem in der Familie die deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden ist und wer sich im Herkunftsgebiet als Deutscher bekannt hat. Somit wurde die Migration von (Spät-)Aussiedler*innen rechtlich und politisch in einen anderen Kontext gestellt als die Migration von anderen Personen.

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Fremdheit in Kasachstan

Marianne Neumann wurde 1958 in Kasachstan geboren, welches damals Teil der Sowjetunion war. Ihre Vorfahren waren im 18. Jahrhundert aus Deutschland nach Russland ausgewandert. Viele dieser sogenannten Russlanddeutschen sprachen weiterhin Deutsch und identifizierten sich als Deutsche.

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Ausreise aus der Sowjetunion

Marianne Neumann erzählt von den Schwierigkeiten und den unangenehmen Konsequenzen, die das Stellen eines Antrags auf Ausreise aus der Sowjetunion mit sich brachte. Nachdem ihrer Familie weder in Kasachstan noch im Kaukasus die Ausreise gewährt wurde, erhielten sie nach zwei Jahren in Moldawien ihre neuen Pässe.

Die Revolutionen in Osteuropa 1989/1990

Nicht nur in der DDR begannen die Menschen, sich gegen die Bevormundung und Unterdrückung durch die kommunistische Diktatur zu wehren. Die Aufbruchsstimmung wurde stetig spürbarer: Überall in Ost- und Ostmitteleuropa wurde 1989 zum Jahr der politischen Wende.

„Auch wir sind das Volk“ ‒  ein junger Mann demonstriert zusammen mit tausenden anderen Demonstranten im Juni 1990 vor dem Roten Rathaus in Berlin gegen Rassismus und Fremdenhass. (akg-images / picture-alliance / ZB / Reinhard Kaufhold)

Sind „wir“ auch das Volk?

Viele Ausländer*innen und Einwander*innen lebten 1989 schon mehrere Jahre in einem der zwei deutschen Staaten, in der Bundesrepublik sogar schon in der zweiten Generation. Sie hatten eine neue Heimat gefunden, sprachen die deutsche Sprache und fühlten sich als Deutsche. Dabei definierte oftmals jeder für sich selbst, was es eigentlich bedeutete, „deutsch“ zu sein. Auch in öffentlichen Diskussionen, in der Politik und der Gesellschaft wurde dies rege diskutiert.

Im Zuge der friedlichen Revolution und des Mauerfalls verschob sich jedoch diese Diskussion um das „Deutschsein“. Die Parole „Wir sind ein Volk“ wurde immer mehr mit ‚Wir Deutschen, egal, ob Ost oder West‘ im Sinn der Herkunft oder der Kultur verknüpft. Damit sollte auch die jahrzehntelange Teilung überwunden werden: Es ist egal, ob man Westdeutscher oder Ostdeutscher war, jetzt ist man Deutscher.

Allerdings erzeugte diese Orientierung auf eine „nationale Einheit“ bei Einwander*innen und deren Nachkommen das Gefühl der Nichtzugehörigkeit. Auf einmal war man nicht mehr der gut integrierte Sohn von türkischen Einwander*innen, sondern wieder der Ausländer, der Nichtdeutsche.

„Man hat die Migranten nicht miteinbezogen. Man fühlte sich wie auf einer Hochzeit, also es ist eine große Freude da. Zwei Seiten freuen sich, Braut, Bräutigam und die Familien – und man ist ein ungebetener Gast. Die Deutschen – in Großbuchstaben – die Deutschen haben gefeiert, und wir dürfen nur zugucken.“

Suat Bakir, erlebt 1989 den Mauerfall in Berlin. (Jens Rosbach: Migranten beim Mauerfall. DLF Kultur, 28.05.2009, Quelle.)

„Natürlich haben sich die Deutschen gefreut, wir haben uns auch gefreut. Aber manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, also dann wäre die Arbeitslosigkeit nicht so gestiegen."

Iskender B., geb 1931/Türkei. Kam 1969 in die Bundesrepublik

(Quelle: Nevim Cil: Topographie des Außenseiters. Türkische Generationen und der deutsch-deutsche Wiedervereinigungsprozess, Berlin: Verlag Hans Schiler 2007, S.174.)

 

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Friedliche Revolution und Mauerfall

Dank eines Studienstipendiums bekam Karamba Diaby die Möglichkeit, in Halle Chemie zu studieren. Die Studienjahre empfand er aufgrund der friedlichen Revolution und der Proteste auch als eine Zeit der Verunsicherung.

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Rassismus und „Wir sind das Volk“

Auch als Student erlebte Cahit Basar immer wieder Rassismus. Aufgrund rassistischer Erlebnisse zweifelte er an seiner Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“.

Der Mauerfall als „turning point“?

Bülent T. ist der Sohn türkischer Einwander*innen. In einem Interview erklärt er, wie der Mauerfall seine Sichtweise auf Deutschland verändert hat.

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„Diese ganze politische Entwicklung hatte ich auch eher so beurteilt, dass es sich so entwickelt hat, dass die Ausländer und die Deutschen sich irgendwie doch nähergekommen sind. Dass sie viel voneinander gelernt haben, dass sie sich untereinander gemischt haben. Es gab viele Mischehen und so weiter, man wurde nicht schief angeguckt, das war, das war irgendwie unproblematischer […] Und seit dem Mauerfall hat sich das, glaube ich, doch geändert, also vor allem die Deutschen aus der ehemaligen DDR, hier eben aus Ostberlin, sind, glaub ich, eher abgeneigt, sich überhaupt mit Ausländern einzulassen. Also es war irgendwie das Gefühl, dass sie doch eher ihre nationalistische Ader irgendwie wiederentdeckt haben.“

(Quelle: Nevim Cil: Topographie des Außenseiters. Türkische Generationen und der deutsch-deutsche Wiedervereinigungsprozess, Berlin: Verlag Hans Schiler 2007, S.169.)

„Nicht mein Tag der Deutschen Einheit“

Die Erfahrung vieler Migrant*innen in der Bundesrepublik im Zuge des Mauerfalls – Arbeitslosigkeit, Fremdenfeindlichkeit und ein plötzliches Ausschließen aus der „deutschen“ Gesellschaft – ließ den Blick und die Erinnerungen auf den Mauerfall oftmals anders ausfallen als bei den meisten Deutschen. Martin Hyun, koreanischstämmiger Politikwissenschaftler, berichtet 2012 in einem Artikel.

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„Am Tag der Deutschen Einheit ist mir nicht zum Feiern zumute. Ich bin deutscher Staatsbürger. Doch mit diesem Tag habe ich nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil, er hält mir vor Augen, wie groß die Diskrepanz zwischen den Einheimischen und den Menschen mit Migrationshintergrund geworden ist. Denn sie, die einstigen Gastarbeiter und deren Nachfahren, sind noch immer nicht zusammengewachsen mit dem, was zusammengehört. Und solange die Geschichte der Gastarbeiter im nationalen Gedächtnis keine Rolle spielt, als Geschichte der jeweiligen Entsendungsländer abgetan wird und eben nicht als ‚deutsche Geschichte‘ angesehen wird, solange wird der dritte Oktober nicht mein Tag der Deutschen Einheit sein. Die Landschaften blühen zwar, aber mittendrin wuchsen Fremdenhass und Naziterror. Als Asylantenheime angezündet und ausländische Mitbürger gemobbt oder getötet wurden, versprach die Gesellschaft – und allen voran die Politik – Besserung. Doch sie blieb aus. Rassismus, Xenophobie und Diskriminierung sind omnipräsent und stärker wie je zuvor. […] Der dritte Oktober ist nicht mein Tag und mir ist nicht zum Feiern zumute, weil er mich daran erinnert, wie unterschiedlich die Interessen, wie hartnäckig die Ungleichheit, wie alltäglich die Diskriminierung in Deutschland ist.“

(Martin Hyun: „Nicht mein Tag der Deutschen Einheit“, Deutschlandfunkkultur 02.10.2012. Quelle.)

Einheit gut, alles gut?

Eine ungewisse Zukunft

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